Türkische Tischler: Meister der Zukunft?
Muhittin Saritas ist ein waschechter Berliner. Er zählt zu den ganz wenigen Tischlermeistern mit türkischen Wurzeln, die in einer Innung organisiert sind.
„Der Meister der Zukunft ist ein Türke!“ Mit dem Zitat von Handwerkspräsident Otto Kentzler im Ohr müsste es einfach sein, türkischstämmige Tischler und Schreiner in Deutschland zu finden. Zahlreiche Telefonate und Internet-Recherchen später die Erkenntnis: Im Holzhandwerk gilt die obige Zukunftsprognose nicht. Doch warum gibt es so viele Türken, die etwa im Automobilbereich erfolgreich sind?
Hürde Sprache
„Klimakompressor raus! Auspuff schweißen! Das versteht jeder. Aber die Tischler- und Schreinersprache ist viel komplexer, eigentlich noch einmal eine eigene Fremdsprache“, erklärt Muhittin Saritas. Nachgefragt: Die Sprache ist das entscheidende Hindernis? Der Tischlermeister bejaht entschieden: „Die Jugendlichen hier scheitern immer an der Sprache. Immer! Ich höre deutsch, überlege türkisch und antworte deutsch.“ Klar, dass das etwas länger dauert. Und für Schule und Lehrzeit eine ziemlich hohe Hürde darstellt. „Wir waren sechs Ausländer in meiner Berufsschulklasse. Ich war der einzige, der die Lehre beendet hat.“ Und was hat ihn bewogen, durchzuhalten und zum Innungstischler zu werden? Er schmunzelt: „Ich war schon immer etwas verrückt. Was ich mir in den Kopf gesetzt habe, das ziehe ich auch durch.“ Doch da nicht jeder sein Durchsetzungsvermögen hat, hat Saritas seine Mission gefunden: die Jugendarbeit.
Herausforderung Jugendarbeit
Der „verrückte“ Tischler weiß, wie man Jugendliche motiviert. „Ich war aktiver Fußballer, habe als Semi-Profi in der Berliner Regionalliga gekickt.“ Nach seiner aktiven Zeit hat Saritas jahrelang als Fußballtrainer beim türkischen Club „Hürtürkel“ gearbeitet. Und festgestellt, dass ihm die Arbeit mit Jugendlichen nicht nur Spaß macht, sondern auf Anhieb auch erfolgreich ist. „Ich sollte ein Team übernehmen, das keiner wollte. Alles Kiffer und Null-Bock-Typen.“ Der Tischler grinst: „Wenn die mich heute sehen, helfen sie mir, meine Einkäufe in meine Wohnung zu tragen.“ Beim Sport allein soll es nicht bleiben: „Ich bin Innungstischler geworden, weil ich Jugendliche vom Kiez ausbilden will.“ Seinem alten Lehrer der Berufsschule hat er sein Förderprogramm schon vorgestellt, der Pädagoge ist von den Plänen seines ehemaligen Schülers sehr angetan. Saritas hat bei der Wahl seiner Lehrlinge ungewöhnliche Vorstellungen: „Ich nehme ungern Abiturienten als Lehrlinge an. Die haben doch viel mehr Chancen im Beruf.“ Er bevorzugt Hauptschüler. Denen will er eine Perspektive geben. Dabei ist ihm egal, ob die Eltern deutsche, türkische oder andere Wurzeln haben.
Gekonnte Improvisation
Wer die Werkstatt des 35-jährigen Berliners sucht, der findet sich auf einem der typischen Berliner Hinterhöfe wieder. Und steht verdutzt vor Räumen, die kaum größer sind als eine Garage. Muhittin Saritas klärt auf: „Das ist eine Übergangssituation. Ich musste aus einer größeren Werkstatt, in der ich meinen Betrieb organisiert hatte, raus.“ Die räumliche Enge bewältigt der stämmige Handwerksmeister erstaunlich gut. Immerhin steht hier eine komplette CNC-Maschine, mit der Saritas vor allem im Innenausbau aktiv ist. Alle notwendigen Werkzeuge sind wohlsortiert vorhanden. Lackiert wird in einer befreundeten Lackiererei. „Der Rest meiner Maschinen wartet in einer Lagerhalle“, erklärt Saritas. Der türkischstämmige Tischler, seine zwei Gesellen und sein Lehrling sind natürlich nicht glücklich über ihre momentane Situation: „Ich habe bereits ein Grundstück nicht weit entfernt gekauft. Dort werde ich eine Halle bauen, die noch in diesem Jahr stehen soll“, gibt sich Saritas optimistisch. Der Bauantrag läuft. Bis dahin heißt es für den emsigen Handwerker: Bauch einziehen, improvisieren und am Ball bleiben. Nachwuchssorgen? Für Saritas kein Thema: „Mein Neffe hat gerade seine Gesellenprüfung bestanden, und ich habe schon einen neuen Lehrling.“
Gelebte Familienbande
Wer aber glaubt, dass es bei Muhittin Saritas gemütlich zugeht, der irrt. Der Tischler ist ein Workaholic, der seine fünfköpfige Familie nur am Sonntag in Ruhe genießen kann. Der frischgebackene Geselle Sevki Saritas bestätigt: „Mein Onkel ist knallhart. Wir hatten schon Aufträge, da haben wir bis in die Nacht gearbeitet. Und morgens um sechs wieder weitergemacht. Der ist unglaublich.“ Leistung fordern, ohne zu überfordern – Saritas scheint den richtigen Ton zu treffen: „Mein Onkel ist für mich wie ein Bruder. Mit dem kann ich über alles sprechen.“ Muhittin Saritas stammt aus einer Familie mit „hölzerner“ Tradition. Schon Großvater und Vater waren Zimmerer und Tischler, und auch ein Bruder hat das Tischlerhandwerk erlernt. Familie Saritas siedelte in den 60er-Jahren von Trabzon am Schwarzen Meer nach Deutschland um.
Geschätzte Qualität
Die Kunden des Berliners sind sowohl Deutsche als auch Türken. Hier sieht er eine seiner Stärken: „Viele türkische Handwerker haben auch nur türkische Kunden. Meine kommen von überallher.“ Die Mentalitäten sind dabei ganz unterschiedlich: „Bei türkischen Kunden geht alles nur über den Preis. Zuerst sind meine billigeren türkischen Kollegen dran. Und wenn es dann wackelt, rufen sie mich doch.“ Seine deutschen Kunden geben sich mit orientalischer Improvisationskunst nicht zufrieden. Was den umtriebigen Tischler anspornt. Saritas ist stolz auf die handwerkliche Qualität seiner Arbeit: „Ich bin ein Perfektionist. Und das hat bei mir auch seinen Preis.“ Damit ist Muhittin Saritas nicht nur sprachlich in beiden Welten zu Hause. Er hat auch für sein Unternehmen die passende Lücke gefunden.
Quelle: https://www.holzhelden.de/tuerkischstaemmiger-tischler-muhittin-saritas/150/321/27791/